37. Sendung mit Kübra Sekin zu Gast bei KRAUTHAUSEN – face to face

Shownotes

Zu Gast bei KRAUTHAUSEN – face to face: Kübra Sekin, Schauspielerin, Performerin und Moderatorin.
Wir sprechen über ihre aktuellen Projekte und die Herausforderungen behinderter Menschen in der deutschen Theater-, Film- und Fernsehbranche. Sekin betont die mangelnde Sichtbarkeit und die strukturellen Barrieren, die behinderte Menschen daran hindern, in diese Bereiche einzudringen. Sie erzählt von ihren Erfahrungen am Set und zeigt auf, wie wichtig es ist, dass Produktionen inklusiv und divers besetzt sind, sowohl vor als auch hinter der Kamera. Zudem thematisieren wir die Notwendigkeit von Netzwerken und unterstützenden Strukturen für behinderte Künstler*innen.

Transkript anzeigen

00:00:00: Herzlich Willkommen zu einer weiteren Folge ...

00:00:02: von "Krauthausen - face to face"-

00:00:04: Heute, und ich gestehe, ich bin wirklich ein Fan,

00:00:06: folge ihr schon seit Jahren auf Instagram und Co. - Kübra Sekin.

00:00:10: Schauspielerin, Performerin und Moderatorin.

00:00:24: Du bist eine der wenigen GästInnen,

00:00:26: die am häufigsten vorgeschlagen wurde.

00:00:29: Ja, neben Jana Zöll ist dein Name der, der am häufigsten fiel.

00:00:33: "Müsst ihr unbedingt mal einladen!" - umso mehr freue ich mich.

00:00:36: Viele kennen dich als Schauspielerin, "Notruf Hafenkante".

00:00:39: Zweimal sehr großartiger Auftritt, habe ich selber gesehen.

00:00:43: Bei "Die Anstalt", hat mir sehr gut gefallen.

00:00:46: - Wichtige Themen aufgemacht. - Danke.

00:00:48: Jetzt ganz aktuell bist du bei einer Produktion dabei von Disney+.

00:00:53: - "Pauline". - Genau.

00:00:55: Was kannst, darfst du darüber erzählen ohne zu spoilern?

00:00:59: Ich glaube, ich sage nicht zu viel, wenn ich erzähle,

00:01:02: dass es um eine junge Frau geht, die einen One-Night-Stand hatte ...

00:01:07: und daraus ist eine Schwangerschaft resultiert.

00:01:11: Dann stellt sich heraus, dass der Erzeuger der Sohn des Teufels ist.

00:01:16: Das ist eine sehr spannende Produktion.

00:01:20: Die lustig ist.

00:01:21: Die aber auch irgendwie sehr clever gesellschaftspolitische ...

00:01:27: Themen unterbringt.

00:01:29: Aber nicht so "in your face", sondern so unterschwellig.

00:01:32: - Was ich auch cool finde. - Es ist eine deutsche Produktion?

00:01:36: Ja, genau und die Deutschen haben es ja eigentlich nicht so ...

00:01:39: mit Science Fiction.

00:01:41: Dementsprechend bin ich echt über- rascht, wie cool das geworden ist.

00:01:45: Und was ist deine Rolle dort?

00:01:47: Meine Rolle ist die Mutter von dem besten Freund von Pauline.

00:01:53: Ich bin auch nur in der ersten Folge zu sehen.

00:01:56: Ich bin ein bisschen eine seelische Stütze für Pauline,

00:02:00: in der Frage vom Schwangerschaftsabbruch.

00:02:05: Woran glaubst du, liegt es, dass deutsche Produktionen ...

00:02:10: sich nicht nur in Science Fiction schwertun,

00:02:13: sondern auch in diesen ganzen Vielfaltsthemen?

00:02:17: Ich glaube, das hat natürlich strukturelle Gründe.

00:02:21: Dass Menschen mit Behinderungen in diese Räume nicht eingeladen werden.

00:02:28: Wegen Diskriminierungsfragen, wegen Vorurteilen.

00:02:31: Das hat sich in den letzten zwei, bis drei Jahren ein bisschen ...

00:02:35: gewandelt, was andere Marginalisierungsgruppen angeht,

00:02:39: die sind ja jetzt vermeintlich viel mehr im Fokus.

00:02:42: Was aber oft ein bisschen Diversity Washing ist.

00:02:47: Ich glaube, bei Menschen mit Behinderung ist das nochmal krasser,

00:02:51: weil wir im Allgemeinen auch weniger Sichtbarkeit haben,

00:02:54: weil unsere Stimmen weniger gehört werden.

00:02:58: Weil wir einfach weniger in Räumen stattfinden.

00:03:02: - Was denkst du denn? - Ich erlebe das genauso.

00:03:05: Aber ich frage mich, wie kann es sein, dass dann so Formate wie

00:03:09: "1 Meter 20" aus Argentinien, die auch nicht als Vorreiter gelten

00:03:17: für Diversity und Inklusion, trotz- dem großartige Filme hinbekommen?

00:03:23: Oder auch in den USA, wo auch nicht alles super ist für Behinderte.

00:03:27: Allein, wenn man einen Rollstuhl beantragen muss,

00:03:29: muss man den teilweise auch selber bezahlen.

00:03:32: Dass das auch kulturelle Fragen sind und nicht nur Gesetzliche ...

00:03:37: oder Rechtliche.

00:03:38: Ich denke, es ist auch eine Frage des Interesses.

00:03:41: Wer interessiert sich für unsere Lebensrealitäten?

00:03:43: Und wer will sie zeigen?

00:03:46: In der deutschen Filmlandschaft sehe ich dieses Interesse gar nicht.

00:03:51: Das finde ich sehr schade. Irgendwie verlorenes Potential.

00:03:57: Ich gebe ganz ehrlich zu, mir fällt es wirklich oft schwer,

00:04:01: rechtzeitig zu erkennen, ob ich als Token eingesetzt wurde oder nicht.

00:04:06: Hast du da irgendeine Methode, um vorab herauszufinden,

00:04:11: bin ich gerade nur das Aushänge- schild oder ist es ernst gemeint?

00:04:17: Erstmal natürlich klar fragen. Kommunikation ist das A und O.

00:04:22: Niemand sagt ja: Klar, wir wollen dich als Token.

00:04:25: Nicht die Frage, ob ich jetzt ein Token bin, sondern die Frage:

00:04:29: Gibt es weitere behinderte Personen in der Produktion?

00:04:33: Entweder vor oder hinter der Kamera.

00:04:36: Ich bin ja in mehreren Bereichen unterwegs, im Theater, im Film,

00:04:42: in der Moderation.

00:04:44: Und die unterscheiden sich tatsächlich, diese Bereiche.

00:04:47: Inwiefern?

00:04:48: Im Theater habe ich zum Beispiel viel mehr das Gefühl,

00:04:53: das Thema Inklusion und Anti-Dis- kriminierung ernster genommen wird.

00:04:59: Weiterbildungen stattfinden - in der Filmbranche kenne ich das nicht.

00:05:06: Ich habe noch von keiner Produktion gehört, die z. B. zum Thema ...

00:05:10: Ableismus eine Sensibilisierung vorher hatten.

00:05:15: Und bei der Moderation ist das nochmal anders.

00:05:18: Ich werde ganz oft nach Moderationen gefragt, im Inklusionskontext.

00:05:23: Wo es auch vorkommt, dass ich als behinderte Moderatorin ...

00:05:27: auf der Bühne bin mit lauter nichtbehinderten Menschen -

00:05:31: Ich fühle es so krass!

00:05:32: - die über Inklusion sprechen, da weiß ich, wofür ich eingeladen wurde

00:05:36: und das ist halt frustrierend, so frustrierend.

00:05:41: Ich hoffe, dass ich es mir irgendwann finanziell leisten kann,

00:05:46: mir die Jobs auszusuchen - das ist so eine Privileg-Frage.

00:05:51: War das jetzt konkret bei "Notruf Hafenkante" oder "Pauline" so,

00:05:57: dass du das Gefühl hattest, dass da Bewusstsein vorher existierte?

00:06:04: Bei "Die Anstalt" würde ich schon sagen,

00:06:07: die haben sich ernsthaft damit auseinandergesetzt.

00:06:10: Bei "Notruf Hafenkante"? Das ist ja jetzt schon Jahre her.

00:06:14: Und dann kam Corona und alles hat sich miteinander vermischt.

00:06:16: Ja, ich glaube, das war 2018 oder 2019. Richtig.

00:06:20: Da hatte ich nicht den Eindruck, dass die sich vorher mit dem Thema

00:06:24: Inklusion auseinandergesetzt haben.

00:06:26: Das war eigentlich eine sehr witzige Anekdote.

00:06:30: Ich war einfach zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.

00:06:33: Und hatte da einen Produzenten sitzen, den ich interviewt habe.

00:06:38: Er hat noch auf der Bühne gesagt, dass er eine Rolle für mich ...

00:06:42: rausschlagen wird.

00:06:45: Ein paar Wochen später hatte ich eine E-Mail von ihm im Postfach.

00:06:49: Wo er meinte: Ich habe hier die perfekte Rolle für dich.

00:06:51: Die ist schon geschrieben, das Skript steht.

00:06:55: Ich war auch nicht die einzige Per- son mit Behinderung in dem Skript.

00:06:58: Was ich cool fand.

00:07:00: Dadurch, dass das auch mein erster Job war,

00:07:04: war ich so: Ich mache alles, was ihr wollt!

00:07:07: Kennst du vielleicht aus deinen Anfängen, dass man so dankbar ist,

00:07:13: für diese Chance.

00:07:14: - Oder auch neugierig. - Auch das.

00:07:17: Ich frage mich, was wäre heutzutage mit meinem Wissen über ...

00:07:22: Ableismus, was ja auch gewachsen ist.

00:07:24: Mit meinem Wissen über Rassismus, wie würde ich mich heute fühlen?

00:07:29: Bei "Pauline" habe ich den Eindruck, dass der ganze Cast sehr divers war.

00:07:34: Dass es den ProduzentInnen sehr wichtig war,

00:07:36: unterschiedliche Lebensrealitäten darzustellen.

00:07:40: Das war nicht nur vor der Kamera so, sondern auch hinter der Kamera.

00:07:44: Dadurch habe ich mich weniger als Token gefühlt.

00:07:49: Wie gehst du denn damit um? Mit dieser Token-Frage?

00:07:53: Manchmal realisiere ich das zu spät.

00:07:55: Dann frage ich mich: Wie konnte ich das übersehen?

00:07:58: Warum bin ich jetzt auf dieser Bühne?

00:08:02: Dann spreche ich das meistens an. Dann ist es eine Live-Situation.

00:08:07: Dann mache ich das so nach Gefühl. Und bin dann oft empört.

00:08:12: Bringe die VeranstalterInnen dann auch oft in Verlegenheit.

00:08:16: - Auf der Bühne? - Ja, auf der Bühne.

00:08:19: Das ist dann so meine Rache.

00:08:21: Vielleicht bucht man mich auch deswegen, habe ich den Eindruck.

00:08:24: Dann sagen die: Wir wollen sie, weil sie die Sachen anders fragen.

00:08:28: Wir wollen sie, weil sie den Finger in die Wunde legen.

00:08:31: Dann mache ich das auch manchmal.

00:08:34: Aber manchmal bin ich so wütend,

00:08:36: dass es vielleicht über die Stränge schlägt.

00:08:40: - Aber dann muss das so sein. - Auf jeden Fall.

00:08:43: Mich ärgert bei diesen ganzen Film- und Theaterproduktionen,

00:08:48: ich habe ja gar keine schauspielerischen Ambitionen,

00:08:51: aber ich kriege es immer wieder mal mit, wo man sagt:

00:08:53: Das Set ist gar nicht barrierefrei oder Backstage.

00:08:59: Hast du nicht bei "Jerks" mitgespielt?

00:09:01: Genau, und auch da war es nicht barrierefrei.

00:09:03: Ach was?

00:09:05: Dann hatte ich eben keinen Masken- wagen, den andere sonst hätten.

00:09:09: Dann haben wir es vor dem Maskenwagen gemacht.

00:09:12: Wie ist es bei dir, wenn du am Set bist?

00:09:14: Es wird immer abgefragt, was ich so brauche.

00:09:18: - Gibt es barrierefreie Maskenwagen? - Ja.

00:09:21: Hatte ich z. B. bei "Pauline".

00:09:23: War aber auch mein erster Maskenwagen mit einer Rampe.

00:09:27: Es war eine sehr lange Rampe, die war von der Steilheit noch okay.

00:09:31: Und ich war so: Ich habe einen eigenen Maskenwagen!

00:09:34: Was eigentlich total selbstverständlich sein sollte.

00:09:37: Aber es war mein erster Maskenwagen nach zirka acht Projekten,

00:09:42: die ich gedreht habe.

00:09:44: Und ja, das ist immer so eine Sache.

00:09:46: Da wirst du schon besetzt und dann sollst du sagen, ob das jetzt

00:09:50: mit der Barrierefreiheit klappt oder nicht.

00:09:53: Dann bist du natürlich in so einer Misslage,

00:09:58: entweder übergehst du deine eigenen Grenzen ...

00:10:01: oder du schlägst diesen Job aus.

00:10:03: Das ist auch wieder so eine Privilegien-Frage.

00:10:07: Meistens sage ich:

00:10:09: Wenn die kein barrierefreies Klo haben, aber z. B. ein Ebenerdiges,

00:10:15: was aber noch so enge Kabinen drin hat,

00:10:18: dann sage ich natürlich: Das schaffe ich.

00:10:22: Aber die Konsequenz daraus ist, wenn ich während des Drehs ...

00:10:26: auf Toilette gehe und mich verletzte, dann ist der Dreh hin.

00:10:33: Zum Glück ist bisher nichts passiert.

00:10:35: Aber dadurch, dass ich in so eine Lage gebracht werde,

00:10:39: hängt wieder die Verantwortung bei mir als Schauspielerin.

00:10:42: Wie viele dieser Diskriminierungsmomente -

00:10:47: Es entmenschlicht einen so und macht einen so ohnmächtig.

00:10:51: Und wütend und alles zugleich.

00:10:53: Wie gehst du eigentlich mit diesen Situationen um?

00:10:56: Mit diesen Gefühlen, wenn du diskriminiert wirst?

00:11:00: Viel zu häufig fresse ich das immer noch in mich hinein.

00:11:03: Ich will dann nicht der "angry cripple" sein.

00:11:07: Der immer nur nörgelt. Der bin ich sowieso schon oft genug.

00:11:11: Merke das dann auch oft erst später,

00:11:13: dass ich gerade über meine Grenzen hinausging.

00:11:17: Wie müde ich eigentlich war, am Ende des Tages.

00:11:20: Und wundere mich, dass ich am näch- sten Tag immer noch nicht fit bin.

00:11:23: Warum ich Bauchschmerzen habe oder schlechte Laune.

00:11:26: Ich merke, dass ich darin zwar besser werde,

00:11:31: aber ich habe auch akzeptiert und verstanden,

00:11:36: dass ich wahrscheinlich mein Leben lang lernen muss,

00:11:38: meine Grenzen zu spüren - oft spüre ich die zu spät.

00:11:43: Darf ich fragen, warum du kein "angry cripple" sein möchtest?

00:11:47: Ich kenne diese Bezeichnung aus einer eher positiven Perspektive.

00:11:51: Ich möchte der natürlich schon sein und Probleme ansprechen ...

00:11:56: und die Wut auch zeigen dürfen.

00:11:59: Aber es gibt eben auch oft dieses: "Nicht schon wieder",

00:12:02: "Die schon wieder" - ich habe manchmal das Gefühl,

00:12:06: wenn ich das zu offensichtlich bin oder zu früh so rüberkomme,

00:12:10: dass dann gar nicht mehr zugehört wird.

00:12:13: Als wenn du dann doch ein bisschen Verständnis zeigst ...

00:12:16: und dann im richtigen Moment deine Punkte machst.

00:12:21: Das ist eher so ein Sport, denke ich.

00:12:24: Ja, voll. Ich erinnere mich auch, so ganz am Anfang,

00:12:28: wo ich noch nicht wusste, dass es Ableismus gibt,

00:12:30: dass es strukturell ist, wo ich noch gar kein Wissen darüber hatte,

00:12:34: wo ich immer nur dachte: Warum gehen die Menschen so mit mir um?

00:12:38: Warum ich? Da war ich auch immer die Brückenschlagerin.

00:12:43: Ich war immer die Person, die den Nichtbehinderten ...

00:12:47: zuvorgekommen ist, die sogenannten "Berührungsängste" genommen hat.

00:12:53: Meine Journey war jetzt irgendwie bis hin zum "angry cripple".

00:12:59: - Da habe ich alles durchgemacht. - Wahrscheinlich geht´s noch weiter.

00:13:02: Natürlich! Natürlich!

00:13:04: Wahrscheinlich wird die angriness wütender oder sie wird gerichteter.

00:13:08: Ich glaube, zumindest ist es so bei mir.

00:13:10: Ich habe z. B. aufgehört, einzelne Menschen bekehren zu wollen,

00:13:15: es geht jetzt einfach wirklich vor allem um strukturelle Fragen.

00:13:19: Wer entscheidet eigentlich? Wer ist in Machtpositionen?

00:13:22: Inklusiver meiner Rolle. In welcher Rolle bin ich eigentlich?

00:13:26: In dem ganzen Spiel.

00:13:27: Das ist natürlich ein permanentes Thema.

00:13:31: Nochmal zurück zum Film.

00:13:33: Welche behinderten Rollen wünscht du dir eigentlich in der Filmbranche?

00:13:37: Super Frage! Denn die Frage hätte ich dir auch gestellt.

00:13:41: Es gibt ja oft die Leute, die sagen: Wir brauchen einen behinderten ...

00:13:44: TatortkommissarIn oder so.

00:13:46: - Ich denk mir dann so - - Ja, it´s me!

00:13:48: Denk, definitiv bräuchten wir das.

00:13:51: Aber wir haben ja mit Tan Caglar, der das dann ja ist,

00:13:55: auch trotzdem noch nicht den Gipfel, das Ziel, erreicht.

00:13:59: Deswegen brauchen wir wahrscheinlich ganz viele TatortkommissarInnen ...

00:14:03: und ChefärztInnen und Bürger- meisterInnen und PräsidentInnen

00:14:07: mit Behinderung.

00:14:09: Vor allem, und daran würde ich es fest machen,

00:14:11: nichts über ihre Behinderung spielen.

00:14:14: Damit wir nicht wissen, warum Tan Caglar im Rollstuhl sitzt,

00:14:17: als Tatortkommissar, dass es auch kein Thema ist.

00:14:20: Dass er deswegen auch nicht besonders empathisch sein muss.

00:14:24: Sondern genauso gut oder schlecht sein kann wie die nichtbehinderten

00:14:28: KommissarInnen auch.

00:14:29: Daran würde ich es eher festmachen.

00:14:32: Was ich immer wieder feststelle, ist, selbst wenn behinderte Rollen

00:14:36: besetzt werden mit behinderten SchauspielerInnen:

00:14:39: Wer hat die Story geschrieben?

00:14:40: War die Person behindert oder chronisch krank?

00:14:43: Jemand, der eine ähnliche Lebensrealität hat?

00:14:47: Das finde ich so wichtig, weil im Endeffekt ist die Story auch wichtig

00:14:53: - Und sie wird dadurch auch besser. - Natürlich wird sie besser!

00:14:56: - Weil sie authentischer ist. - Ja!

00:14:59: Ich mag Tan total als Schauspieler.

00:15:01: Aber als ich mir diesen Tatort angeschaut habe, war ich so:

00:15:04: Oh nein, wer hat das denn geschrieben?

00:15:07: Warum wird Tan jetzt die Treppe runtergetragen, Huckepack,

00:15:11: ein erwachsener Mann, muss darüber noch lachen,

00:15:14: damit seine Rolle noch sympathisch bleibt.

00:15:17: - Was soll das? - Ja.

00:15:19: Und die Kehrseite der Medaille sind dann ja diese Ein-Tages-Auftritte.

00:15:26: Wovon man sich in der Regel weder die Miete leisten kann,

00:15:30: noch die Wahrscheinlichkeit hoch ist,

00:15:32: dass man im Trailer von irgendwas auftaucht.

00:15:34: Ich sage immer: Von der Zahnpasta-Werbung,

00:15:37: bis hin zur NachrichtensprecherIn, würde ich mir wünschen,

00:15:41: dass behinderte Menschen auch mal Dinge machen,

00:15:44: die nichts mit dem Thema Behinderung zu tun haben.

00:15:46: Und auch nicht als Token, um zu sagen: Vielfalt! Für Alle!

00:15:51: Was dann ja oft das Motto dieser Erzählung ist.

00:15:54: Dass es einfach so beiläufig miterzählt wird.

00:15:57: So wie wir das inzwischen bei Queerness ganz gut hinbekommen.

00:16:02: Was die Sichtbarkeit und Repräsentation angeht.

00:16:06: Man sieht mehr queere Menschen.

00:16:08: Als NachrichtensprecherInnen, als SchauspielerInnen,

00:16:11: ohne dass dies das Thema ist.

00:16:13: Da haben sie Menschen mit Behinderungen überholt.

00:16:17: Wie entscheidest du denn, du hast gesagt, es ist eine Privilegienfrage

00:16:21: Aber trotzdem, wie wählst du denn die Produktionen aus,

00:16:24: an denen du mitmachst?

00:16:26: Wie kommst du an die Produktionen?

00:16:28: Entweder kommen Casting-Anfragen bei meinem Management rein,

00:16:33: das ist meistens der Fall für Dreh-Anfragen.

00:16:36: Treffen die dann auch so eine Art Vorauswahl? Eine Einschätzung?

00:16:39: Damit du das nicht die ganze Zeit machen musst.

00:16:44: Es ist noch lange nicht so, dass täglich eine Anfrage reinkommt.

00:16:49: Es gibt einfach noch nicht genügend behinderte Rollen.

00:16:52: Wenn das so wäre, dann wäre ich in der Position, zu sagen:

00:16:56: Das mache ich, das mache ich nicht, das mache ich, das lieber nicht.

00:16:59: Aber das ist noch lange nicht so.

00:17:01: Aber ich habe nicht den Eindruck, dass du alles machst.

00:17:03: Ne!

00:17:04: Als Moderatorin, als Schauspielerin, auf Bühnen, vor der Kamera,

00:17:10: ist man natürlich oft der Situation ausgesetzt, dass es Besprechungen

00:17:14: und Reaktionen gibt, vom Publikum oder Theater- oder Filmkritiken.

00:17:19: Woran erkennst du echten Applaus?

00:17:22: Wie unterscheidest du ihn von Mitleidsapplaus?

00:17:26: - Verstehst du, was ich meine? - Das ist schwierig.

00:17:29: Ich habe meine Sicht darauf mittlerweile darauf verändert.

00:17:37: Es kann gar keinen reinen Mitleids-Applaus geben.

00:17:42: Weil ich weiß, was ich leiste.

00:17:44: Ganz am Anfang dachte ich schon:

00:17:47: Man weiß jetzt nicht genau, warum die Person applaudiert oder lächelt.

00:17:53: Aber in all den Jahren habe ich eine persönliche Entwicklung gemacht.

00:17:57: Habe an Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein dazugewonnen.

00:18:02: Für mich gibt es keinen Mitleidsapplaus mehr.

00:18:08: Wie war das bei dir?

00:18:09: Mir fällt es immer noch schwer, diesen echten Applaus ...

00:18:12: vom Mitleids-Applaus zu unterscheiden.

00:18:15: Unsere Auftritte unterscheiden sich vielleicht in der Hinsicht,

00:18:19: dass ich Eulen nach Athen trage.

00:18:22: Ich stehe auf Bühnen zum Thema Inklusion ...

00:18:25: und ich glaube, bei dir ist die Wahrscheinlichkeit größer,

00:18:29: dass Publikum dasitzt, das mit dem Thema Inklusion ...

00:18:32: noch nicht so viel zu tun hatte.

00:18:33: - Genau, im Theater zum Beispiel. - Oder vorm Fernseher.

00:18:36: Ich trage Dinge gegenüber Leuten vor, die dann eher nicken.

00:18:42: Die sagen: Ja, stimmt.

00:18:44: Als dass sie zu neuen Erkenntnissen kommen.

00:18:46: Das mache ich dann auch oft zum Thema.

00:18:48: Dass eigentlich das ganze Setting hier falsch ist.

00:18:51: Und wir eigentlich auf die Bühnen der anderen gehören.

00:18:54: Und uns nicht immer selbst beklatschen sollten.

00:18:57: Du meinst, du bist immer in der gleichen Bubble,

00:18:59: wo immer die gleichen Leute sich treffen.

00:19:02: Und immer sich im Kreis dreht.

00:19:04: Der Applaus ist dann oft inhaltlich.

00:19:06: Aber den Inhalt hast ja du geschaffen.

00:19:10: Genau, deshalb ist es was anderes.

00:19:12: Aber manchmal verlasse ich die Bühne, die Leute haben geklatscht

00:19:16: und fanden es inhaltlich gut und dann kommt trotzdem jemand ...

00:19:19: aus dem Publikum auf mich zu und sagt:

00:19:21: Ich bewundere, wie sie das alles machen!

00:19:25: Ja, das kennt man natürlich.

00:19:26: Und dann denke ich: Ah, doch falscher Applaus.

00:19:29: Du kannst ja auch nicht als einzelne Person ...

00:19:32: die Welt verändern, das geht nicht, du brauchst ein Netzwerk dafür.

00:19:37: Aber wem sage ich das?

00:19:39: Du warst einer der Ersten, der in der großen Medienlandschaft ...

00:19:43: aufgetreten ist als Mensch mit Behinderung in Deutschland.

00:19:46: Du hast angefangen, unsere Themen zu repräsentieren.

00:19:51: Du hast aber auch Leute nachgezogen.

00:19:54: Und das ist auch die einzige Aufgabe, die überhaupt noch ansteht,

00:19:58: für mich, weil es muss nachhaltiger werden.

00:20:01: Es darf nicht alles von einer Person abhängen.

00:20:05: Ich habe ganz oft von dir gehört und gelesen, dass du nie Aktivist ...

00:20:09: werden wolltest.

00:20:10: Du da irgendwie so reingerutscht bist und es dir auferlegt wurde.

00:20:17: Was war der ausschlaggebende Punkt, dass du gesagt hast: Ich mach das?

00:20:22: Und warum?

00:20:24: Weil ich immer das Gefühl hatte, um jetzt mal Ross und Reiter zu nennen,

00:20:28: ich fühle mich von Organisationen wie Lebenshilfe, Aktion Mensch ...

00:20:32: und Co. nicht vertreten.

00:20:34: Wenn die sprechen, sprechen da viel zu viele nichtbetroffene,

00:20:38: nichtbehinderte Menschen über das Thema und sind auch die,

00:20:41: die immer eingeladen werden.

00:20:43: Ich hatte das Glück, Kommunikation studiert zu haben.

00:20:46: Ungefähr zu wissen, wie Redaktionen funktionieren,

00:20:50: was für Fragen sie haben und wie man ihnen das quasi mundgerecht,

00:20:55: oder sendefähig aufbereitet.

00:20:58: Dann hat das ein paar Jahre funk- tioniert, dann war es aber wieder:

00:21:01: "Raul Krauthausen hat gesagt".

00:21:04: Der wollte ich ja auch nicht sein.

00:21:06: Dann fing ich an, mit dieser Fernsehsendung, als ein Beispiel,

00:21:10: zu sagen: Es gibt so viele großartige Menschen da draußen,

00:21:14: mit Behinderung, die was zu sagen haben in ihren Bereichen.

00:21:17: Sei es Schauspielerei, Tanz, Musik,

00:21:21: im Kunstbereich, die überhaupt nicht stattfinden.

00:21:24: Wir erfahren ganz viel über SportlerInnen mit Behinderung,

00:21:27: wir erfahren über Menschen mit Behinderung, die Schmerzen haben,

00:21:30: die leiden, in den Medien.

00:21:32: Aber wir erfahren relativ wenig über Kunst und Kultur.

00:21:36: Das war der Beginn, dieses Netzwerk, zumindest mal ein Netz auszuspannen,

00:21:41: mal zu gucken, wer ist denn wirklich auch spannend?

00:21:46: Die Liste ist so lang und du bist eine der meist vorgeschlagenen ...

00:21:50: KünstlerInnen.

00:21:52: Ich dachte, das muss man noch irgendwie ausbauen.

00:21:57: Meine Idee war dann: Mache ich es doch im Tandem.

00:22:01: Wenn ich angefragt werde, dann bringe ich immer jemanden mit.

00:22:07: Die letzten Bücher sind so entstanden.

00:22:09: Dass immer jemand mit Behinderung dabei ist,

00:22:13: der mehr weiß als ich.

00:22:15: Oder ich rede grundsätzlich nur mit behinderten Menschen ...

00:22:18: über ein Thema, damit dann deren Themen in den Mittelpunkt kommen.

00:22:22: Sonst wird immer das Gleiche erzählt.

00:22:24: Und irgendwie beißt sich die Katze ja auch in den Schwanz,

00:22:27: wenn keine Möglichkeiten geboten werden, dass sich neue Menschen ...

00:22:31: mit Behinderungen eine Plattform schaffen können.

00:22:35: Wenn du sie nicht einstellst, wenn du sie nicht anfragst für Jobs.

00:22:38: Dann haben sie keine Chance, sich einen Namen zu machen.

00:22:41: Und wie lange wollen wir uns noch anhören,

00:22:43: dass es keine SchauspielerInnen mit Behinderung neben Samuel Koch gibt.

00:22:48: Die Ausrede kann ich sowieso gar nicht mehr ernst nehmen, also Null.

00:22:53: Wie hast du denn deine Leidenschaft für die Bühne oder vor der Kamera

00:22:56: entdeckt, bzw. fortgebildet?

00:23:00: In die künstlerische Arbeit bin ich durch eine behinderte Freundin

00:23:03: gekommen.

00:23:05: Ich wollte ja eigentlich studieren gehen. Habe ich auch.

00:23:09: Heilpädagogik?

00:23:12: Ja, Heilpädagogik, inklusive Pädagogik.

00:23:15: Aber um dieses Studium anzufangen, musste ich ein Vorpraktikum machen

00:23:19: und das Vorpraktikum habe ich in einem Informationszentrum ...

00:23:24: für behinderte Studierende gemacht, in Bochum.

00:23:28: Dort hat eine behinderte Psychologin gearbeitet.

00:23:32: Wir haben uns ein bisschen ausgetauscht und so kam heraus,

00:23:36: dass sie in einem Performance- Kollektiv ist und hat mich gefragt,

00:23:40: ob ich für sie einspringe, weil sie an einem Termin nicht konnte.

00:23:44: Und für mich war das das Größte!

00:23:49: Das war so wichtig für mich, dass sich diese Tür geöffnet hat für mich

00:23:54: Dass ich außerhalb von Schul-Theater-AG Kontext ...

00:23:59: künstlerisch arbeiten konnte.

00:24:01: So hat es eigentlich seinen Lauf genommen.

00:24:05: Traurigerweise, muss man wirklich sagen, hatte ich Glück.

00:24:08: So sollte das nicht sein, dass Menschen mit Behinderungen ...

00:24:13: nur durch Glück zur künstlerischen Arbeit kommen.

00:24:16: Und unter den jetzigen Rahmenbeding- ungen, die wir leider noch haben,

00:24:21: was würdest du jetzt jüngeren Menschen mit Behinderung empfehlen,

00:24:24: wenn die auch in die Kunst wollen?

00:24:28: Überlegt euch, ob ihr unter diesen Bedingungen wirklich Kraft habt,

00:24:33: das durchzustehen.

00:24:34: Im Moment braucht man noch einen sehr langen Atem dafür.

00:24:38: Gerade weil es noch nicht die barrierefreien Zugänge gibt,

00:24:42: die wir brauchen.

00:24:44: Kontaktiert behinderte Künstler- Innen, die schon Erfahrung haben.

00:24:48: - Tauscht euch mit ihnen aus. - Zum Beispiel wo?

00:24:51: Auf Social Media zum Beispiel.

00:24:53: Es gibt auch regelmäßig Workshops.

00:24:56: Ich war z. B. dieses Jahr das erste Mal auf einem Lab,

00:25:00: welches kuratiert wurde nur von behinderten und chronisch kranken

00:25:04: TheatermacherInnen.

00:25:07: Wo nur behinderte Kunstschaffende an diesem Labor teilgenommen haben.

00:25:13: Das war bisher in meiner Berufslaufbahn das Empowerndste,

00:25:17: was ich erlebt habe.

00:25:18: Es gibt auch unterschiedliche Beratungszentren,

00:25:21: die von behinderten Menschen geleitet werden.

00:25:24: Die euch bestimmt auch hilfreiche Tipps geben können.

00:25:29: Voll cool, mit dir so ...

00:25:33: eigentlich so privat darüber mal zu sprechen.

00:25:37: Dass du mich erst in deine Sendung einladen musst,

00:25:40: damit das mal passiert!

00:25:41: Das letzte Mal war ich ja in deiner Sendung,

00:25:44: als du noch dieses Online-Video-Format hattest.

00:25:47: Ja, wir müssen uns noch viel mehr privat treffen.

00:25:50: Jetzt haben wir schon so viel von Netzwerken unter Behinderten

00:25:53: gesprochen und selbst nicht hinbekommen uns zu treffen!

00:25:56: Ich feiere das, ich bin sehr froh, dass wir heute die Gelegenheit haben

00:26:00: Ich freu mich auch.

00:26:01: Bei meinen Gästen ist es ja Tradition, dass sie etwas mitbringen

00:26:05: - Ja! - Ein Mitbringsel.

00:26:07: - Ja, ich habe da was vorbereitet. - Uh, ich bin vorbe-, äh, gespannt!

00:26:11: Ich habe dir Sonnenblumenkerne mitgebracht.

00:26:14: - Mega! - Aber in der crip version.

00:26:17: Das heißt, du musst die nicht selber aufknipsen.

00:26:20: - Die sind schon geknipst? - Die sind schon offen.

00:26:23: - Die würde ich dir gerne dalassen. - Oh mein Gott!

00:26:26: Ich sag dir, ich feiere das gerade so hart, weil, ohne Witz,

00:26:30: ich habe seit ein paar Jahren meine Dritten.

00:26:34: Und da ist dieses Aufknipsen nicht so einfach.

00:26:37: Was dazu führt, dass ich keine Nüsse esse,

00:26:40: aber jetzt sind sie ja quasi vor- geknipst, jetzt kann ich sie essen.

00:26:44: - Ja, die sind accessible für dich. - Mega! Vielen Dank!

00:26:49: Es sind Sonnenblumenkerne, weil ich bin ja türkisch.

00:26:54: Wenn wir irgendwo abhängen, haben wir immer Sonnenblumenkerne dabei.

00:26:57: Also nicht Alle!

00:27:00: Ich dachte: Das ist doch ein Teil meiner Identität.

00:27:04: Und das möchte ich dir mitbringen.

00:27:06: Vielen Dank! Die werde ich auf jeden Fall alle alleine aufspeisen.

00:27:10: Gönn dir!

00:27:11: Ich liebe auch Sonnenblumen, Sonnen- blumenkerne, Sonnenblumenkernbrot.

00:27:15: - Großartig! - Ich auch! Richtig gut!

00:27:18: Das war sicher nicht das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben.

00:27:21: - Danke, dass ich hier sein durfte. - Schön, dass du da warst.

00:27:25: Das war es auch schon wieder für diese Folge, bis zum nächsten Mal!

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