35. Sendung mit Sema Gedik zu Gast bei KRAUTHAUSEN – face to face

Shownotes

Zu Gast bei KRAUTHAUSEN – face to face: Sema Gedik, Modeschöpferin und Unternehmerin.
Wir diskutieren über Semas Weg in die Modebranche, der durch die Erkenntnis geprägt wurde, dass es mehr Mode für Hunde als für kleinwüchsige oder behinderte Menschen gibt. Gedik, die Modedesign an der HTW Berlin und dem Amsterdam Fashion Institute studierte, hat sich durch persönliche Erfahrungen mit ihrer kleinwüchsigen Cousine dazu entschieden, Mode für Menschen mit besonderen Körpermaßen zu entwerfen. Ihr Label "Auf Augenhöhe" füllt eine Marktlücke in der Bekleidungsindustrie, indem es barrierefreie Mode und ein inklusives Größensystem entwickelte. Durch umfangreiche Forschung, hat Gedik ein standardisiertes Größensystem für Menschen mit unterschiedlichen Körperformen geschaffen. Ihre Arbeit geht über traditionelles Design hinaus und adressiert soziale und politische Themen innerhalb der Modeindustrie. Sema Gedik sieht ihre Arbeit als Teil einer Bewegung für eine inklusive Modebranche, die alle Körperformen berücksichtigt.

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00:00:00: Herzlich Willkommen zu einer weiteren Folge ...

00:00:02: von "Krauthausen - face to face".

00:00:04: Direkt neben dem Berliner Hauptbahnhof.

00:00:06: Und heute zu Gast ist die großartige Modeschöpferin Sema Gedik.

00:00:11: Um ehrlich zu sein steht sie schon sehr lange auf unserer To-Do-Liste.

00:00:15: Herzlich willkommen.

00:00:27: Herzlich willkommen Sema, schön, dass du da bist!

00:00:29: Ja, hallo! Freut mich auch, hier zu sein.

00:00:31: Wie würdest du dich beschreiben? Modeschöpferin, Modedesignerin?

00:00:37: Um ehrlich zu sein bezeichne ich mich nicht so gerne als Designerin

00:00:41: oder Modeschöpferin.

00:00:42: Vielleicht einfach Sema und da sage ich ganz oft Unternehmerin.

00:00:47: Was ich mache, ist ja mehr als Mode zu schöpfen.

00:00:51: Aber du hast recht, es ist der Kern meiner Arbeit.

00:00:54: Ich habe bei den Recherchen die Aussage gelesen,

00:00:59: dass es mehr Mode für Hunde gibt, als für kleinwüchsige ...

00:01:04: und behinderte Menschen.

00:01:05: Aber zeigt ja auch wieder, was für ein Fokus unsere Gesellschaft ...

00:01:08: setzt in der Modebranche.

00:01:14: Was überhaupt die Trend-Topics sind.

00:01:17: Würdest du sagen, du hast eine Marktlücke entdeckt?

00:01:19: Ja, definitiv.

00:01:23: Bis ich angefangen habe, mich mit Bekleidung und barrierefreier Mode

00:01:28: auseinanderzusetzen, gab es kaum Unternehmen,

00:01:31: die sich mit dem Thema befasst haben.

00:01:34: Weder DesignerInnen, noch Unternehmen.

00:01:37: Ich würde schon sagen, dass die Arbeit von "Auf Augenhöhe" ...

00:01:40: mit zu einer Junior-Arbeit gehört.

00:01:43: Und wie genau diese Arbeit aussieht und was ihr bei "Auf Augenhöhe" ...

00:01:47: macht, das schauen wir uns in einem kurzen Einspieler an.

00:02:26: Vielleicht nochmal ganz zum Anfang.

00:02:29: Du hast Modedesign an der HTW studiert.

00:02:33: Und durch deine Cousine, die selber kleinwüchsig ist,

00:02:37: bist du auf die Idee gekommen, Mode für kleine Menschen zu machen?

00:02:41: - Oder wie war die Geschichte? - Genau so.

00:02:44: Ganz am Anfang habe ich in Amsterdam studiert.

00:02:49: Am Amsterdam Fashion Institute. Da ging es viel um nachhaltige Mode.

00:02:54: Themen, die in Berlin, an meiner Uni noch gar nicht, vor zehn Jahren,

00:02:58: irgendwie behandelt wurden.

00:03:00: Als ich von dieser Reise zurückkam, nach Berlin,

00:03:04: war ich mir total unsicher, warum ich das überhaupt noch mache,

00:03:07: was ich mache, weil ich mich überhaupt mit der ganzen Industrie

00:03:10: gar nicht mehr verbunden gefühlt habe.

00:03:13: Und ich auch nicht wusste, was überhaupt meine ...

00:03:16: Aufgabe ist in so einer fucked up Industrie.

00:03:21: Ich war mir sicher, dass ich auf gar keinen Fall die nächste ...

00:03:23: Designer-Bluse für Menschen machen werde, die sowieso genug haben.

00:03:28: Und was genau ist so fucked up an der Mode-Industrie?

00:03:32: Man kennt das aus den ganzen Skandalen, die auftauchen.

00:03:36: Dass es alles Wegwerf-Mode ist oder nicht fair produziert wurde.

00:03:40: Aber was genau hat dich schockiert oder entsetzt?

00:03:46: Mein Thema mit "Auf Augenhöhe" hat ungefähr 2013 angefangen.

00:03:49: Da war ja auch die Rana-Plaza Geschichte in Bangladesch.

00:03:54: Aber auch, ist mir aufgefallen, dass es mich nicht interessiert,

00:03:58: ob das Kleidungsstück gelb, blau oder rot ist.

00:04:02: Es interessiert mich nicht, wo die Tasche und die Knöpfe gelegt sind.

00:04:08: Dabei ist mir aufgefallen, dass ich gar nicht die klassische Designerin

00:04:13: bin, weil mich das alles nicht so richtig interessiert.

00:04:17: Da fing es langsam an, dass ich verstanden habe,

00:04:21: eigentlich mag ich ja mehr das konzeptionelle Arbeiten ...

00:04:25: und aus einer Idee ein Produkt zu schöpfen.

00:04:29: Wie es dann am Ende aussieht, ist mir auch schon wichtig,

00:04:34: aber nicht primär.

00:04:35: Viel mehr ging es mir auch in meinen Arbeiten als Studentin ...

00:04:39: um Themen, die irgendwie mich bewegen, die die Welt bewegen ...

00:04:44: und dass dann in einer Kollektion auszudrücken.

00:04:47: Und dann hattest du deine Cousine vor Augen.

00:04:51: Es gibt in Deutschland 100.000 kleinwüchsige Menschen.

00:04:56: Was ja vielleicht sogar ein Markt ist.

00:04:59: Was war bis zu dem Zeitpunkt das Problem,

00:05:03: was Mode für kleine Leute angeht?

00:05:07: Wenn ich da ein bisschen ausholen darf, war es genauso, dass ich ...

00:05:10: mit Familie und Freunden darüber gesprochen habe,

00:05:13: dass ich eventuell abbrechen möchte.

00:05:15: Als wir über den Grund meiner Gedanken gesprochen haben,

00:05:21: haben meine Eltern und Geschwister direkt gesagt:

00:05:26: Was du gerade erwähnst und was du eigentlich machen möchtest,

00:05:29: ist ganz nah bei dir.

00:05:32: Da wusste ich relativ schnell, dass es um meine Cousine geht.

00:05:35: Funda, die in der Türkei wohnt.

00:05:37: So fing es an, als ich mit Funda darüber gesprochen habe,

00:05:41: habe ich nochmal recherchiert, wie kleinwüchsige Menschen einkaufen.

00:05:47: Habe dann den Bundesverband Klein- wüchsiger Menschen und ihre Familien

00:05:50: entdeckt und als ich dann zum ersten Mal zu einem Kleinwuchs-Treffen ...

00:05:54: eingeladen wurde, ist mir aufgefallen,

00:05:58: dass alle Menschen, mit denen ich zum ersten Mal gesprochen habe,

00:06:01: genau das Gleiche sagen wie meine Cousine.

00:06:03: Es ist also ein systematisches Problem.

00:06:09: Wieso ignoriert die Modewelt eigentlich Menschen,

00:06:13: die ein Teil der Modekultur sein möchten?

00:06:17: So begann es mit Vor-Casting, Trend- Recherchen und das ganze Thema ...

00:06:21: wurde auf einmal puff - total groß!

00:06:23: Ich konnte mich gar nicht mehr davon lösen, weil ich verstanden habe,

00:06:26: dass es eigentlich nicht nur um kleinwüchsige Menschen geht ...

00:06:29: oder meine Cousine, sondern um ein größeres, globales Problem.

00:06:34: Also war es für mich auch ein sozialpolitisches Thema.

00:06:36: Was ich natürlich auch total spannend fand.

00:06:39: In einem Vorgespräch erzähltest du, dass die kleinwüchsigen Menschen

00:06:44: - die du weltweit besucht hast, dass ihnen allen gesagt wurde,

00:06:49: dass ihre Körperform einzigartig sei.

00:06:52: Ja.

00:06:53: Was du aber herausgefunden hast, gar nicht der Fall ist,

00:06:56: weil es gab ein Muster.

00:06:57: In jedem Land, in dem ich war und ich kann ja mal so aufzählen:

00:07:01: In Deutschland, in Spanien, in Frankreich, in den Niederlanden,

00:07:07: in Norwegen und da hast du recht, in meinem Master-Studium ...

00:07:10: hatte ich die Möglichkeit, in Chile zu studieren.

00:07:12: Dann habe ich auch die Initiative ergriffen,

00:07:14: dort kleinwüchsige Menschen zu vermessen ...

00:07:16: und mich mit denen zu unterhalten und auch in Bolivien und Peru.

00:07:20: Und du hast vollkommen recht, alle Menschen haben gesagt:

00:07:24: Na ja, es gibt keine Mode, weil mein Körper einzigartig ist.

00:07:28: Das ist wirtschaftlich überhaupt nicht relevant,

00:07:31: extra für meinen Körper maßgeschneiderte Produkte zu machen.

00:07:35: Ich dachte mir immer, wenn man das gesagt hat:

00:07:38: Okay, aber mein Körper ist doch auch anders als der Körper ...

00:07:42: von meiner nichtbehinderten Freundin und trotzdem können wir uns

00:07:46: am Konfektionsgrößensystem bedienen,

00:07:49: obwohl wir komplett unterschiedlich gebaut sind.

00:07:52: Ist das wirklich so, dass man einzigartig ist?

00:07:54: Oder ist es eher so, dass niemand eine Recherche gemacht hat,

00:08:00: um wirklich die Körper von Menschen mit Behinderungen,

00:08:03: die nicht zum konventionellen Größensystem passen, zu verstehen?

00:08:08: Das wollte ich dann machen, weil ich es blöd fand, einfach zu sagen:

00:08:13: Wir machen keine Mode für Behinder- te, weil die Körper einzigartig sind

00:08:18: Aber es war nicht nur die Industrie, die meint, es lohnt sich nicht,

00:08:24: sondern es war auch die Hochschule, die dir gesagt hat,

00:08:27: ein System zu entwickeln, die die Konfektion kleinwüchsiger Menschen

00:08:32: erfassen kann, das ist unmöglich.

00:08:36: - Das stimmt. - Was hast du denn herausgefunden?

00:08:39: Ich habe herausgefunden, dass es möglich ist, dass es Parallelen gibt

00:08:43: Das habe ich schon bei den ersten Messungen bemerkt.

00:08:47: Zum Beispiel?

00:08:49: Der Gesäßumfang ähnelt sich sehr, die Körpergrößen haben Parallelen.

00:08:55: Je mehr Menschen ich vermessen habe, desto mehr ist mir aufgefallen,

00:09:00: dass die Körper eigentlich gar nicht einzigartig sind.

00:09:03: Und du hast nicht nur drei, vier Leute vermessen?

00:09:06: Ich habe 15.000 Körperdaten vermessen. Und mehr als 800 Leute.

00:09:11: Mittlerweile sind es, glaube ich, sogar mehr.

00:09:13: Das war wirklich "Ground Work". Auch etwas obsessed, muss ich sagen.

00:09:16: Wenn ich so an die Jahre zurückdenke.

00:09:21: Es gibt auch Videos und Fotos von meinen Mitbewohnerinnen,

00:09:24: die von mir gemacht wurden, wo ich mit Schnittkonstruktionen einpenne.

00:09:27: Auf meinem Bett liegen über Stoffe und ich bin total damaged.

00:09:33: Weil ich wirklich obsessed war. Aber es hat auch Spaß gemacht.

00:09:37: Insgesamt war es irgendwie voll die coole und wichtige und wunderschöne

00:09:42: Recherchearbeit, die daraus entstanden ist.

00:09:45: Auf was muss man jetzt als Mode- designerIn achten, wenn man Mode für

00:09:50: Menschen mit Achondroplasie zum Beispiel macht?

00:09:52: Ganz kurz gesagt, dass ich nicht zu tief in die Materie reingehe:

00:09:56: Das sind die verkürzten Armlängen in der Schnittführung,

00:10:00: zu beachten sehr wichtig.

00:10:01: Dann der ausgeprägte Gesäßumfang. Die Oberschenkel.

00:10:05: Die meisten haben ein Hohlkreuz, das man beim Schnitt beachten muss,

00:10:09: damit die Hosen hinten nicht abstehen.

00:10:10: Lass uns kurz über "Auf Augenhöhe" sprechen.

00:10:13: Es ist nicht einfach da kommt jemand vorbei und misst deinen Körper aus

00:10:17: und dann bekommst du deine ideale Bluse.

00:10:20: Sondern ihr arbeitet mit 15 vordefinierten Größen.

00:10:24: Die man in einem Online-Shop ganz klassisch kaufen kann.

00:10:28: Nur eben für andere Körper.

00:10:30: Als jemand vielleicht bei Zalando und Co. finden würde.

00:10:34: Erklär uns, wie das funktioniert.

00:10:36: Das entwickelte Größensystem ist tatsächlich unsere Existenz.

00:10:39: Es ist nicht nur das Konfektions- größen-System als Tabelle,

00:10:44: sondern auch die Schnitt-Konstruk- tion für verschiedene Produkte,

00:10:49: in verschiedenen Größen.

00:10:51: Aber auch unsere Größenfinder-Applikation.

00:10:53: Ich weiß nicht, ob du das kennst. Wenn du im Online-Shop einkaufst ...

00:10:57: und nicht weißt, welche Größe du hast, gibt es einen Button,

00:11:01: wo steht: Finde meine Größe.

00:11:03: Dann gibst du ein, wie groß du bist, wie viel du wiegst und was für einen

00:11:07: Style, regular, slim und dann spuckt dir die Applikation raus,

00:11:12: welche potentielle Größe du von dieser Firma hast.

00:11:15: Ganz oft ist es so, dass wenn ich bei diesen Shops gucke,

00:11:18: dann ist die kleinste Größe, die du angeben kannst, ein Meter zwanzig.

00:11:22: Aber ich bin kleiner als ein Meter zwanzig. Dann funktioniert das nicht

00:11:26: Wir im Team haben gesagt: Wir haben ja die ganzen Daten.

00:11:31: Man muss sich das bei "Auf Augenhöhe" so vorstellen:

00:11:34: Wir missten kleinwüchsige Menschen, rollstuhlnutzende Menschen,

00:11:38: Menschen mit Down-Syndrom, haben uns mit blinden Menschen ausgetauscht,

00:11:41: aber primär sind wir nach außen ge- gangen mit kleinwüchsigen Menschen.

00:11:45: Aus verschiedenen Ressourcen-Gründen.

00:11:47: Aber wir haben so viel Knowhow und so einen Schatz von wichtigen

00:11:53: Produkten, die wir auch übersetzen könnten in neue Technologien,

00:11:58: z. B. so einen Größenfinder.

00:11:59: Die Mission von "Auf Augenhöhe" schauen wir uns in einem Video an.

00:12:25: * Es ist ein Irrtum, zu behaupten, dass kleinwüchsige Menschen ...

00:12:29: in der Kinderabteilung einkaufen gehen können.*

00:12:31: * Sie haben doch eine komplett andere Proportion.*

00:12:33: * Das ist nicht möglich.*

00:12:35: * Ich recherchierte, ob es wirklich keinen Anbieter gibt,

00:12:39: der Bekleidung für kleinwüchsige Menschen herstellt.*

00:12:43: * Fand nichts und entschied mich: Dann mache ich es.*

00:13:07: "Auf Augenhöhe" macht Mode für Alle Menschen.

00:13:10: Denn die Mode-Industrie hat uns jahrelang ignoriert.

00:13:12: Und bietet keine Mode für alle Körperformen an.

00:13:15: Und das soll sich ändern.

00:13:18: Wir machen Mode auf Augenhöhe, von auf Augenhöhe.

00:13:21: Das heißt: Mode für alle Menschen.

00:13:24: Für eine Modebranche, die inklusiv und barrierefrei ist.

00:13:30: Und genau dafür brauchen wir euch, für unsere Produktionsvorbereitung.

00:13:35: Für einen inklusiven und barrierefreien Online-Shop.

00:13:38: Und für ein effizienteres Online-Marketing.

00:13:41: Alles für alle.

00:13:43: Wir kennen uns jetzt auch schon eine ganze Weile privat.

00:13:46: Du hast auch schon Sachen für mich designet.

00:13:50: Es ist wirklich merkbar ein Unterschied, auch von der Passform,

00:13:54: wie das einfach besser für meinen Körper passt, als wenn ich im Laden

00:14:01: einen Anzug für ein kleines Kind kaufe.

00:14:03: Aber eine Sache, die mich am meisten geflasht hat,

00:14:06: ich nenne es immer die Schuhleisten-Geschichte.

00:14:10: Du warst in Pirmasens, wenn ich mich recht erinnere.

00:14:14: Bei dem größten Hersteller für Schuhleisten.

00:14:17: Kannst du die Geschichte nochmal erzählen,

00:14:19: die hat mich wirklich umgehauen.

00:14:22: Ein Schulfreund von mir bei dieser Firma arbeitet.

00:14:28: Ich habe auch Füße vermessen von kleinwüchsigen Menschen.

00:14:31: Mit der Idee, dass auch irgendwann passende Schuhe entwickelt ...

00:14:36: werden können, mit einer Firma zusammen.

00:14:40: Mein Freund meinte irgendwann: Ich habe mal mit dem Chef gesprochen,

00:14:45: ob es möglich wäre, dass wir uns diesem Thema widmen.

00:14:48: Wir haben alle mega Bock, hast du nicht Lust, mal vorbeizukommen?

00:14:52: Und das habe ich dann auch gemacht.

00:14:54: Dort habe ich auch den wirklich faszinierenden Peter kennengelernt.

00:15:00: Peter macht schon seit mehr als 40 Jahren, falls ich richtig erinnere,

00:15:05: Schuhleisten für große Firmen.

00:15:09: Ich wusste nicht, was eine Schuhleiste ist.

00:15:12: Eine Schuhleiste ist im Prinzip ein Stück Holz in Form eines Fußes,

00:15:17: um den herum quasi der Schuh entwickelt wird.

00:15:20: Ganz genau. Die haben wirklich ein Archiv, von weiß nicht, mehreren ...

00:15:26: zehntausenden verschiedenen Schuhleisten für Firmen,

00:15:30: die wir alle kennen.

00:15:32: Ich war total gerührt, dass wir in so eine Firma eingeladen wurden,

00:15:40: die mit uns zusammen Produkte entwickeln möchten,

00:15:42: für Menschen, die schon so lange darauf warten.

00:15:45: Und die noch nie zuvor von denen gesehen wurden.

00:15:49: Peter wollte dann, dass ich ihm zeige, was ich so habe.

00:15:55: Dann habe ich meine Maße gezeigt, mein System für Füße.

00:16:00: Es gibt auch ein Konfektionsgrößen- System für Schuhe,

00:16:04: die "Auf Augenhöhe" schon entwickelt hat, die aber nicht auf dem Markt

00:16:08: sind, weil wir keine Anbieter haben und auch nicht die Expertise,

00:16:12: Schuhe zu entwickeln, wir haben keine Maschinen oder SchneiderInnen.

00:16:15: Dann hat Peter angefangen, die erste Schuhleiste ...

00:16:19: in der ersten Standardgröße zu entwickeln.

00:16:24: Und meinte dann zu mir, dass er glaubt,

00:16:29: dass kleinwüchsige Menschen ...

00:16:32: gar keine Schuhe tragen können, das muss alles so schmerzhaft sein,

00:16:38: er versteht das einfach nicht.

00:16:39: Er meinte: Wir müssen uns alle zusammensetzen,

00:16:41: mit kleinwüchsigen Menschen, um wirklich, ich möchte verstehen,

00:16:44: wie diese Menschen einkaufen, das muss unheimlich schmerzhaft sein.

00:16:48: Du meintest dann, dass du gar nicht weißt, ob das den Leuten wehtut.

00:16:52: - Und hast dann die Leute angerufen. - Ja, vor Ort.

00:16:55: Du hast gefragt, ob das Tragen von Schuhen wehtut.

00:16:58: Die meinten dann: Entweder sind die Schuhe zu lang,

00:17:01: damit sie in der Breite passen oder sie sind zu eng,

00:17:06: damit sie nicht zu lang sind.

00:17:08: Und das ist dann jeweils das Schmerzhafte.

00:17:10: Und aus dem System heraus habt ihr dann Schuhgrößen ...

00:17:14: theoretisch euch überlegt.

00:17:17: Was mich da so beeindruckt hat, dass es am Ende gar nicht so viele

00:17:21: Schuhgrößen sind, die übrig bleiben,

00:17:23: bei einem ausgewachsenen Kleinwüchsigen.

00:17:26: Ja, ganz genau so ist es.

00:17:28: Es war immer unser Wunsch, dass wir erst mit kleinwüchsigen Menschen

00:17:32: anfangen, dass es aber darüber hinaus gehen muss,

00:17:36: und wir am liebsten eigentlich mit Unternehmen zusammenarbeiten möchten

00:17:39: - gar nicht alleine in unserem Süppchen.

00:17:43: Ich habe einen Ausdruck richtig gesagt!

00:17:47: Die kleinwüchsigen Menschen, die ich kenne, die tragen dann oft

00:17:52: maßgefertigte Schuhe vom Orthopäden.

00:17:55: Die oft versuchen, cool auszusehen, aber man von vorne bis hinten ...

00:18:00: erkennt, dass es einfach kein echter Chuck oder Air Force One ...

00:18:05: oder Dog Martins sind.

00:18:07: Ich habe mich dann gefragt, warum gibt es nicht z. B. ...

00:18:11: Weltschuhe wie den Nike Air Force One oder Chucks, in dieser Größe?

00:18:18: Du musst ja nicht jedes Design in dieser Größe haben,

00:18:23: aber zumindest die Erfolgreichsten.

00:18:26: Das frage ich mich auch.

00:18:29: Aber ich glaube noch immer ganz fest daran, mag sein, das ist naiv,

00:18:33: das glaube ich mittlerweile wirklich nicht,

00:18:36: dass das in Zukunft passieren wird.

00:18:40: Apropos Zukunft: Wir reden hier über Schuhgrößen und Marken.

00:18:46: Standards, die man entwickeln könn- te, die noch nicht entwickelt sind

00:18:50: und dann gibt es da draußen Firmen, die als Hauptgeschäftsfeld haben,

00:18:54: Ideen zu klauen und zu kopieren.

00:18:57: Hast du dann davor Angst oder ist es genau dein Ansinnen,

00:19:03: Hauptsache die Idee erblickt das Licht der Welt ...

00:19:05: und ihr solltet vielleicht sogar Kooperationen machen ...

00:19:08: mit großen Firmen?

00:19:09: Nein, ich habe aus zwei Gründen keine Angst davor.

00:19:13: Der erste Grund ist, es ist gar nicht so einfach, das zu kopieren.

00:19:17: Rein technisch ist es gar nicht so einfach.

00:19:20: Man müsste von Grund auf wieder diese Recherche-Arbeit leisten.

00:19:26: Der zweite Grund ist: Lass uns sagen, es wird alles kopiert.

00:19:33: Aber dann freue ich mich irre für die Community.

00:19:37: Wir sind sowieso so ein "People over Profit" Unternehmen.

00:19:41: Klar wäre es total traurig, wenn wir einfach kopiert werden.

00:19:45: Aber andererseits, wie schön ist es, wenn wir mit unserer Arbeit ...

00:19:50: ein Teil davon waren, eine inklusive Modewelt zu formen.

00:19:54: Du bist jetzt bei "The Founders Initiative" von Porsche.

00:20:00: Von denen wirst du unterstützt. Was genau bedeutet das?

00:20:03: Das Ganze fing ja so an, dass mich Jörg Rheinboldt ...

00:20:08: vorgeschlagen hat bei der "Founders Initiative".

00:20:11: Ich kannte Jörg Rheinboldt vorher gar nicht.

00:20:13: - Nein? - Nein! Ich kannte ihn nicht.

00:20:16: Es ist schön, die Geschichte von "Auf Augenhöhe" nochmal zu erwähnen.

00:20:22: Wie "Auf Augenhöhe" sich entwickelt hat, wie es erschaffen wurde,

00:20:26: wie es gegründet wurde.

00:20:28: Es kommt wirklich aus einem ganz organischen Wachstum heraus.

00:20:32: Ich hatte eigentlich nie vor, ein Unternehmen zu gründen.

00:20:35: Ich dachte, ich entwickle ein Projekt im Rahmen meines Studiums

00:20:40: und werde mich dann bewerben in klassischen Unternehmen.

00:20:45: Und werde da wahrscheinlich das The- ma rund um Inklusion vorantreiben.

00:20:50: Natürlich hat sich das Ganze ganz anders entwickelt.

00:20:53: Weil mein Weg sich dahin geformt hat.

00:20:55: Es fing zum Beispiel damit an, dass mein Professor gesagt hat:

00:20:59: Während deines Masterstudiums werde ich dich für eine Begabtenförderung

00:21:04: anmelden, bei der Studiumsstiftung des Deutschen Volkes,

00:21:07: damit du ein Stipendium bekommst.

00:21:09: Ich dachte dann noch: Ich brauche doch kein Stipendium,

00:21:12: ich habe doch BAFÖG.

00:21:13: So fing das an, dass ich irgendwie Unterstützung bekommen habe.

00:21:17: Von Menschen, die an mich und meine Vision geglaubt haben.

00:21:21: Das Gleiche war mit Jörg Rheinboldt. Ich kannte ihn überhaupt gar nicht.

00:21:28: Er hat mich der Porsche Founders Initiative vorgeschlagen.

00:21:35: Dadurch, dass sie noch am Anfang stehen mit dieser Initiative,

00:21:40: wird sich in den nächsten Monaten herausstellen,

00:21:43: wie das überhaupt weitergeht.

00:21:45: Ob es überhaupt eine Förderung geben wird, wie es sich entwickelt.

00:21:49: "Auf Augenhöhe" wurde ausgewählt, wir bekamen ein Kampagnenvideo ...

00:21:55: und die Sichtbarkeit bei der New York Times und so ...

00:21:58: und wir wurden mit einem Preisgeld dotiert.

00:22:01: Mehr ist das aktuell noch nicht und ich hoffe, es entwickelt sich weiter

00:22:05: Weil wir schon in Gesprächen sind, wie man mit Porsche ...

00:22:09: an unserer Seite inklusive Kampagnen entwickeln kann.

00:22:14: Porsche für kleinwüchsige Menschen.

00:22:16: Barrierefreie Autos, ich weiß nicht, ob das -

00:22:19: Wir sind aber auf jeden Fall am Austausch, wie wir weiter ...

00:22:22: zusammenarbeiten können.

00:22:23: Das Kampagnen-Video haben wir tat- sächlich hier und schauen es uns an.

00:22:29: Man kann sagen, dass mein Label aus einer Rebellion heraus entstand.

00:22:33: Ich wollte der Mode-Industrie zeigen, wie kaputt sie ist.

00:22:44: Wenn wir meine Familie in der Türkei besuchten,

00:22:47: haben wir nicht über den Kleinwuchs meiner Cousine gesprochen.

00:22:50: Wenn sie ein Glas vom Regal holen wollte, bestand sie darauf,

00:22:53: dass wir ihr nur helfen, wenn sie uns darum bittet.

00:22:55: Ich begriff, dass die Welt um sie herum nicht für sie gemacht ist.

00:23:01: An der Modeschule habe ich mich gefragt,

00:23:05: weshalb ich tue, was ich tue.

00:23:07: Ich sah keine Möglichkeit, wie die Industrie ...

00:23:10: zu meinen Wertvorstellungen passt.

00:23:11: Seit diesem Zeitpunkt habe ich zirka 800 Menschen ...

00:23:16: mit kleiner Statur vermessen.

00:23:17: Außerdem habe ich das erste allgemeingültige Größensystem ...

00:23:20: für diese Bevölkerungsgruppe entwickelt.

00:23:23: Das Gefühl, wenn man eine Hose anzieht, die perfekt passt,

00:23:27: ist der Hauptgrund, weshalb wir keine Retouren haben.

00:23:31: Darüber hinaus gibt es eine emotio- nale Bindung dazu, etwas zu kaufen,

00:23:36: das wirklich deine Bedürfnisse berücksichtigt.

00:23:40: Letztendlich will ich eine völlig inklusive Mode-Gemeinschaft aufbauen

00:23:45: Wir sind nicht nur ein Mode-Label, sondern eine echte Gemeinschaft.

00:23:50: Für mich ist das einfach wundervoll.

00:23:51: Eine inzwischen etablierte Tradition in dieser Sendung ist,

00:23:55: dass die Gäste ein Mitbringsel mitbringseln.

00:23:59: Was hast du heute mitgebracht?

00:24:01: Ich habe hier ein Maßband mitgebracht.

00:24:04: Und tatsächlich, ich weiß gar nicht, wie es auf Deutsch heißt,

00:24:08: auf Türkisch heißt es nazar boncugu.

00:24:10: Ich fange mal mit dem Maßband an.

00:24:13: Das habe ich mitgebracht, weil es mich einfach ...

00:24:17: mein Leben lang, bis heute, immer noch begleitet.

00:24:21: Zwar nicht mit diesem Maßband, aber mit einem Maßband,

00:24:25: habe ich behinderte Menschen vermessen und habe eigentlich ...

00:24:29: so ein Maßband immer in meiner Tasche.

00:24:31: - Hast du immer eines dabei? - Ja.

00:24:33: Das heißt, so im Zug, random, in der S-Bahn:

00:24:35: Oh, sie haben aber interessante Kör- performen, darf ich sie vermessen?

00:24:38: Das mache ich nicht mehr, aber am Anfang habe ich das gemacht.

00:24:42: Dadurch haben sich oft voll schöne Kontakte ergeben.

00:24:46: Aber ich hatte schon immer sehr viel Angst und Respekt davor,

00:24:49: aber das habe ich gemacht.

00:24:50: Du hast ja jetzt jahrelang Menschen vermessen.

00:24:53: Du bist wahrscheinlich behinderten Menschen körperlich nähergekommen,

00:24:58: als die meisten da draußen.

00:25:02: Hat das deinen Blick auf Behinderung geändert?

00:25:05: Ja, bestimmt, auf jeden Fall.

00:25:07: Ich vermesse dich jetzt und stelle mich vor dich.

00:25:13: Das ist ja schon eine sehr intime Beziehung, die man dabei hat.

00:25:19: Notwendig ist ein Vertrauen von beiden Seiten,

00:25:21: die einem vorgestellt wird.

00:25:25: Ich fand es sehr interessant, als du mich vermessen hast.

00:25:29: Du bist nicht die erste Person, die mich vermessen hat,

00:25:32: aber bei dir war das insofern an- ders, weil du nicht bewertet hast.

00:25:36: Das ist mir sofort aufgefallen.

00:25:38: Du hast gesagt: Der Arm ist so, der Arm ist so.

00:25:41: Und du hast nicht gesagt, der Arm ist kürzer als der.

00:25:45: Stimmt, ich habe immer nur in Zentimetern geredet, so technisch.

00:25:50: Du hast recht, ich möchte auch gar nicht Körper bewerten.

00:25:54: Das ist total interessant das Thema, weil mittlerweile weiß ich ...

00:25:57: auch gar nicht mehr, was schön und was hässlich ist, zum Beispiel.

00:26:00: Will ich auch gar nicht.

00:26:02: Und dein zweites Mitbringsel?

00:26:06: Ist das türkische Auge, also nazar boncugu.

00:26:09: Ganz am Anfang, als ich die ersten Gespräche geführt habe,

00:26:13: wo die verschiedensten Menschen mit Behinderung ...

00:26:17: gleich über den Alltag gesprochen haben,

00:26:19: welche Diskriminierungserfahrungen diese Personen erleben.

00:26:22: Seitdem muss ich immer an das türkische Auge denken.

00:26:25: Das ist so eine türkische Tradition, wenn z. B. ein Kind geboren wird

00:26:31: oder wenn man eine wichtige Präsentation hat und so,

00:26:36: gibt es so ganz jleine türkische Augen mit einer Sicherheitsnadel,

00:26:42: die mir meine Eltern immer mitgegeben haben.

00:26:44: Wenn ich eine wichtige Präsentation hatte oder so.

00:26:49: Ich dachte immer, eigentlich müsst ihr alle immer so ein Auge tragen.

00:26:54: Weil es eben eine Abwehr gegen böse Blicke ist.

00:26:57: Als ich über das Logo für "Auf Augenhöhe" nachgedacht habe,

00:27:02: gab es das türkische Auge immer als Basis und auch die Farbe Blau.

00:27:06: Die war wichtig.

00:27:09: Die beiden Sachen habe ich mitgebracht.

00:27:11: - Sehr schön. - Ja.

00:27:13: Liebe Sema, wir hätten noch zwei Sendungen anschließen können.

00:27:18: Es war sehr schön, dass du da warst.

00:27:20: Ja, vielen Dank, hat sehr viel Spaß gemacht.

00:27:22: Hat mich sehr gefreut und ich hätte gerne noch mehr gewusst über ...

00:27:25: unterschiedliche Kulturen und Vor- stellungen von Moden, Designs, usw.

00:27:29: Das machen wir vielleicht ein anderes Mal.

00:27:31: Bis dahin freue ich mich auf das nächste Mal, wenn es wieder heißt:

00:27:34: Krauthausen face to face.

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